Gemeinsam lernen, wirkungsvoll handeln
Menschen sind vermehrt schwierigen Situationen ausgesetzt, weil multiple Krisen, soziale Ungleichheit, Armut und Katastrophen zunehmen. Um Menschen in vulnerablen Lebenslagen zu unterstützen, richtet das SRK seine Tätigkeiten auf eine möglichst grosse Wirkung aus. Dies erfolgt nicht zuletzt durch gemeinsames Lernen, aber auch durch die Wahl von geeigneten Indikatoren.
Humanitäre Herausforderungen sind ohne eine konsequente Wirkungsorientierung nicht bewältigbar: Dynamische Entwicklungen von Krisen, gesellschaftliche Veränderungen und neue Bedürfnisse der Zielgruppen erfordern beim SRK ein kontinuierliches Lernen. Dies geschieht durch den Austausch mit Akteurinnen und Akteuren, die eng mit den betroffenen Menschen arbeiten, sowie durch das Testen und Implementieren neuer Methoden und Instrumente. Wirkungsorientierung bedeutet dabei nicht nur Messung und Analyse, sondern vor allem die Fähigkeit, von Erkenntnissen zu lernen, sowohl im Inland als auch im Ausland.
Gemeinschaftlicher Prozess
Im SRK wird Wirkungsorientierung als ein dynamischer und innovativer Lernprozess verstanden, der durch kontinuierliche Reflexion, Austausch und Weiterentwicklung geprägt ist. Ziel ist es, neue Erkenntnisse unmittelbar in die Praxis zu überführen und bestehende Prozesse stetig zu verbessern. Mitarbeitende und Freiwillige im SRK bringen ihre Erfahrungen ein, tauschen sich aus und gestalten gemeinsam wirkungsorientierte Ansätze. Schulungen, Workshops und der direkte Dialog mit Partnerorganisationen schaffen Räume für Wissenstransfer und gemeinsames Wachstum.
Ein zentrales Instrument fürs Lernen sind im Rahmen der Wirkungsorientierung Pilotaktivitäten. Damit werden innovative (neue) Werkzeuge, Methoden und Ansätze der Wirkungsorientierung in der Praxis erprobt. Die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse einzelner Rotkreuz-Mitgliedsorganisationen werden im gesamten SRK geteilt und erfolgreiche Ansätze multipliziert. Regelmässige Austauschformate fördern die Vernetzung, ermöglichen das Teilen von Erfahrungen und unterstützen die Entwicklung neuer Lösungsansätze.
Wirkung
Wirkung lässt sich in drei Ebenen aufteilen: Outputs sind die unmittelbaren Ergebnisse, Outcomes zeigen die direkten Veränderungen, und der Impact beschreibt einen Beitrag zur Erreichung der langfristigen, gesellschaftlichen Auswirkungen.
Output: Dies sind die direkten Ergebnisse oder Produkte, die durch eine Aktivität oder ein Projekt entstehen. Es handelt sich um messbare, greifbare Leistungen. Beispiele sind die Anzahl der durchgeführten Schulungen oder verteilten Hilfsgüter. Outputs zeigen, was gemacht wurde.
Outcome: Outcomes beziehen sich auf die kurz- bis mittelfristigen Veränderungen oder Effekte, die durch die Outputs erreicht werden. Sie beschreiben, wie sich das Verhalten, die Fähigkeiten oder die Lebensbedingungen der Zielgruppe verbessern. Ein Beispiel wäre, dass nach einer Schulung mehr Menschen in der Lage sind, Erste Hilfe zu leisten.
Impact: Impact bezeichnet die langfristigen, übergreifenden Veränderungen in der Gesellschaft oder im Leben der Menschen, die durch das Projekt erzielt werden. Ein Impact zeigt die nachhaltige Wirkung, zum Beispiel eine verringerte Sterblichkeit durch rechtzeitige Erste-Hilfe-Massnahmen.
Wirkungsorientierung am Beispiel ÖV-Begleitdienst
Wirkungsorientierung bedeutet einerseits, Massnahmen zu analysieren, und anderseits aus Erfahrungen zu lernen und Angebote kontinuierlich zu verbessern. Das Beispiel des ÖV-Begleitdiensts in der Stadt Zürich zeigt, wie direktes Feedback von Zielgruppen und Freiwilligen genutzt wird, um das Angebot passgenau weiterzuentwickeln. Die Wirkungsorientierung trägt dazu bei, zielgerichtete und nachhaltige Unterstützung zu leisten.
Ziel des ÖV-Begleitdienst vom des SRK Kanton Zürich ist es, älteren und mobilitätseingeschränkten Menschen den Zugang zu medizinischen, kulturellen und sozialen Angeboten zu erleichtern und damit ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Besonders in städtischen Gebieten wie Zürich ist die Mobilität ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Das Angebot basiert auf freiwilligem Engagement. Es verbindet eine partizipative und kundenzentrierte Ergänzung des bestehenden Angebots des Rotkreuz-Fahrdienstes. Das Bedürfnis der Zielgruppen nach einer grösseren Selbstbestimmung und einer alternativen Transportmöglichkeit sowie die Nachhaltigkeit waren die Beweggründe für dieses Projekt.
Der ÖV-Begleitdienst entstand 2016 komplementär zum schon bestehenden Rotkreuz-Fahrdienst zur Begleitung zu medizinischen und therapeutischen Terminen. Seniorinnen, Senioren und Menschen mit gesundheitlichen Herausforderungen haben dadurch die Möglichkeit, weiterhin selbstbestimmt und aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen – eine Freiheit, die für viele von zentraler Bedeutung ist. Der ÖV-Begleitdienst unterstützt nicht nur die Zielgruppen beim sicheren Erreichen ihrer Ziele, sondern stärkt auch ihr Vertrauen in die eigene Mobilität. Die Begleitung durch geschulte Freiwillige gibt den Teilnehmenden die Sicherheit, öffentliche Verkehrsmittel wie Zug, Tram und Bus zuverlässig zu nutzen, ohne die Unsicherheiten alleine bewältigen zu müssen. Dies fördert ihre Unabhängigkeit sowie ihr soziales Leben, da sie ihre Termine weiterhin wahrnehmen können. Die Gespräche und die Fürsorge der Freiwilligen stärken das Gefühl der Zugehörigkeit und das Vertrauen in die Gemeinschaft.
Ich merke bei einer Kundin, dass sie sich jedes Mal freut, wenn ich sie begleite, da ich ihre Bedürfnisse in der Zwischenzeit kenne und anerkenne, und sie darum entspannt der Begleitung entgegensieht und sich nicht selbst noch zusätzlich unter Druck setzt. Mich freut es, dass ich ihr diese Sicherheit geben kann. Mein Einsatz bei Klienten mit Demenz oder anderen Beeinträchtigungen entlastet die Angehörigen und gibt ihnen Luft zum Atmen, um selber wieder ein bisschen zur Ruhe zu kommen.
Freiwillige im SRK
Seit der Entscheidung zur Weiterentwicklung des ÖV-Begleitdienstes im Rahmen des Projekts «Soziale Teilhabe durch Mobilität» im Jahr 2022 werden Personen neu auch zu Freizeitaktivitäten und sozialen Anlässen begleitet. Weitere Fortschritte konnten erzielt werden. Diese reichen von der Intensivierung der Netzwerke mit Partnerorganisationen und Freiwilligen bis zur gezielten Erhebung und Analyse von Daten des ÖV-Begleitdienstes. Diese helfen, das Angebot optimal auf die Bedürfnisse der Zielgruppen auszurichten.
Mit dem ÖV-Begleitdienst gelingt es dem SRK, einen entscheidenden Unterschied für die Mobilität und situative Zufriedenheit der Menschen zu machen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Das Angebot trägt zu einer inklusiveren Gesellschaft bei, in der alle die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und selbstbestimmt unterwegs zu sein.
Einblicke und Erkenntnisse
Der ÖV-Begleitdienst des SRK Kanton Zürich hat messbare Ergebnisse erzielt, die seine positive Wirkung auf das Leben der Zielgruppen belegen.
Zahl der Begleitungen: Im Jahr 2024 wurden im ÖV-Begleitdienst 1233 Begleitungen durchgeführt. Damit wurden 58 Personen regelmässig unterstützt, die ohne diese Hilfe ihre Arzttermine, Besorgungen und sozialen Kontakte nur eingeschränkt hätten wahrnehmen können.
Trainings und Qualität: Im Jahr 2024 wurden 16 neue Freiwillige unter anderem mit Unterstützung der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) umfassend geschult, um sie auf die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen der Begleitung vorzubereiten. Diese Ausbildung gewährleistet die Qualitätssicherung und fördert die Sicherheit und Zufriedenheit der Teilnehmenden.
Freiwilliges Engagement: Im ÖV-Begleitdienst haben sich im Jahr 2024 insgesamt 51 Freiwillige engagiert.
Zielgruppe: 75 Prozent der Begünstigten sind Frauen, 42 Prozent haben körperliche Einschränkungen, 43 Prozent kognitive Beeinträchtigungen. Fast 90 Prozent leben in der Stadt Zürich, und die Altersgruppe von 81 bis 90 Jahren stellt mit 33 Prozent den grössten Anteil dar. Diese Ergebnisse dienen der Steuerung und helfen, die Begleitung auf die Bedürfnisse der Zielgruppen auszurichten.
Zeitersparnis und Gesundheitsförderung: Für Angehörige bedeutet der ÖV-Begleitdienst eine Entlastung von durchschnittlich rund fünf Stunden pro Monat, die sie sonst aufwenden müssten, um ihre Verwandten zu begleiten. Dies erlaubt es ihnen, ihre eigenen Verpflichtungen wahrzunehmen. Damit entlastet das Angebot das persönliche Umfeld der begleiteten Personen.
Weitere Erkenntnisse: Es gab 192 Stornierungen, von denen 52 Prozent durch Absagen oder Terminverschiebungen begründet waren. 33 Prozent entfielen auf Krankheit oder Spitalaufenthalte. Zudem wurde deutlich, dass einige Begünstigte den ÖV-Begleitdienst als Ergänzung zu anderen Angeboten wahrnehmen, was wiederum in die Weiterentwicklung der Angebote einfliessen kann.
Die Resultate verdeutlichen, wie der ÖV-Begleitdienst nicht nur die Mobilität und Selbstständigkeit fördert, sondern auch zu einem verbesserten sozialen Zusammenhalt und Wohlbefinden beiträgt.
In den Selbstaussagen wird vor allem die Stärkung des Sicherheitsgefühls greifbar. Einerseits gewährleistet sie eine gewisse Normalität, die früher ohne Beeinträchtigung gelebt wurde, andererseits bietet sie die Gewissheit, heute sicher von A nach B zu kommen.
Hubert Kausch, Projektleiter
Wie wird die Wirkung gemessen?
Drei zentrale Outcome-Indikatoren werden verwendet, um die Wirkung des ÖV-Begleitdienstes bei der Zielgruppe darzustellen:
Sicherheit und Mobilität: Der ÖV-Begleitdienst trägt dazu bei, dass sich die Begünstigten sicherer fühlen, insbesondere bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Dies hat direkte Auswirkungen auf ihre Mobilität und Selbstständigkeit: Viele der Teilnehmenden trauen sich wieder häufiger, den öffentlichen Verkehr zu nutzen, was ihre Unabhängigkeit nachhaltig stärkt.
Soziale Teilhabe: Die sozialen Begleitungen fördern Begegnungen und menschliche Verbindungen. Im Gegensatz zum Fahrdienst bewegt man sich mit dem ÖV-Begleitdienst im öffentlichen Raum und kommt damit automatisch mit Menschen in Kontakt. 24 Prozent der sozialen Begleitungen fanden im Kontext von Besuchen bei Verwandten oder Freunden statt. Diese Kontakte sind ein wesentlicher Bestandteil für die emotionale Gesundheit der Begünstigten. Der ÖV-Begleitdienst zeigt auf, wie die Unterstützung bei der Mobilität weit über den rein funktionalen Zweck hinausgeht, von A nach B zu kommen. Er trägt dazu bei, die gesellschaftliche Isolation zu reduzieren. Besonders überraschend war die hohe Relevanz von kulturellen und alltäglichen Aktivitäten wie Besuche beim Coiffeur oder der Coiffeuse oder kulturelle Veranstaltungen – eine Erinnerung daran, wie wichtig diese vermeintlich kleinen Dinge für das persönliche Wohlbefinden sind.
Zufriedenheit und Weiterempfehlung: Sowohl die Zielgruppen als auch Freiwillige äussern sich positiv über das Angebot. Die hohe Zufriedenheit zeigt, dass der Dienst die Bedürfnisse beider Seiten trifft. Ein unerwarteter Aspekt war die grosse Bedeutung der Wertschätzung, die Freiwillige durch ihre Einsätze erfahren – ein Faktor, der die Bindung der Freiwilligen an den ÖV-Begleitdienst stärkt und die Kontinuität der Einsätze sichert. Die Weiterempfehlung des ÖV-Begleitdienstes durch Begünstigte und Institutionen bestätigten dessen Relevanz und Qualität.
Weiterentwicklung des Angebots
Die Resultate des ÖV-Begleitdienstes liefern nicht nur wertvolle Erkenntnisse, sondern bieten auch die Grundlage für die strategische Weiterentwicklung des Angebots. Die datenbasierten Erkenntnisse ermöglichen es, Anpassungen gezielt vorzunehmen und die Wirkung zu steigern.
Durch die Anpassungen in der Kommunikation mit den Zielgruppen oder die Gestaltung der Begleitungen werden spezifische Bedürfnisse noch besser adressiert. So wird beispielsweise geprüft, wie die Dienstleistung für weitere Altersgruppen oder für Personen mit spezifischen Einschränkungen zugänglicher gemacht werden kann.
Das wirkungsorientierte Handeln im ÖV-Begleitdienst spiegelt die Aktivitäten des SRK wider, die Wirkung seiner Angebote nicht nur zu überprüfen, sondern kontinuierlich zu steigern. Die gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse aus den “Pilotaktivitäten”, wie dem ÖV-Begleitdienst des SRK Kanton Zürich, fliessen mittels dafür organisierten Lern- und Austauschgefässen zwischen verschiedenen Rotkreuz-Mitgliedsorganisationen in die Gesamtorganisation. Diese Gefässe haben dazu beigetragen, das Prinzip der Wirkungsorientierung in der Organisation zu verankern und wirkungsorientiertes Handeln als Standard zu etablieren. Das SRK handelt wirkungsorientiert, mit dem Ziel, die Lebensqualität von Menschen in schwierigen Lebenslagen nachhaltig zu verbessern.