Weltrotkreuztag: «Hoffnung gibt Kraft»
Interview
•Krisen prägen unsere Gegenwart. Studien wie das Hoffnungsbarometer zeigen, dass Zukunftsängste weit verbreitet sind. Doch sie belegen auch etwas anderes: Hoffnung ist die entscheidende Kraft, die Menschen ins Handeln bringt. Zum Beispiel die Freiwilligen des SRK. Davon ist Andreas Krafft, Studienleiter des «Hoffnungsbarometers», überzeugt. Zum Weltrotkreuztag haben wir mit ihm gesprochen.
Interview mit Andreas Krafft
Andreas Krafft
Andreas Krafft ist Studienleiter des «Hoffnungsbarometers», Research Associate for Future Studies am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) der Universität St. Gallen sowie Co-Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung. Er hat mehrere wissenschaftliche Artikel und Bücher zum Thema Zukunft und Hoffnung veröffentlicht. Foto: GEWA
Bewaffnete Konflikte, das Erstarken autoritärer Bewegungen, die Auswirkungen der Klimakrise: Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Warum ist Hoffnung gerade jetzt so wichtig und was macht sie zu einer wichtigen Ressource?
Hoffnung ist vor allem in schwierigen und kritischen Situationen wichtig. In Kriegszeiten hoffen Menschen auf Frieden, bei Krankheit auf Gesundheit und in wirtschaftlichen oder politischen Krisen auf Stabilität. Hoffnung hat in solchen Situationen mehrere Funktionen: Sie hilft den Menschen, nicht zu kapitulieren; sie erweitert den Horizont, macht erfinderisch und vermehrt die Handlungsoptionen; sie ist die Voraussetzung dafür, sich für etwas Wünschenswertes einzusetzen; sie bewahrt den Einzelnen vor den negativen Folgen von Entmutigung und Verzweiflung; sie verleiht den Menschen Widerstandskraft und Ausdauer; und sie bringt Gleichgesinnte zusammen, indem sie gegenseitige Unterstützung und Kooperation fördert.
Ihre Studien zeigen: Für viele Menschen ist die Erfahrung gegenseitiger Hilfsbereitschaft eine wichtige Quelle der Hoffnung. Inwiefern kann freiwilliges Engagement nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft stärken?
Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt und Solidarität sind im Kleinen wie im Grossen zentrale Ressourcen für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft. Aus der Forschung wissen wir: Menschen, die sich freiwillig engagieren, sind hoffnungsvoller, hilfsbereiter, zufriedener, glücklicher, erleben mehr Sinn im Leben und leiden weniger unter Ängsten und Depressionen. Gleichzeitig setzen sie sich für etwas Gutes ein, unterstützen andere und dienen anderen als Vorbild. Dadurch stärken sie das Vertrauen und den Glauben an das Gute. Je mehr Menschen sich freiwillig für eine gute Sache engagieren, desto stärker wird der Zusammenhalt in der Gesellschaft und desto kraftvoller wird die gemeinsame Hoffnung.
Wie können humanitäre Organisationen wie das SRK dazu beitragen, den Glauben an eine bessere Welt zu stärken?
Durch Vorbilder und gute Taten. Im Idealfall gäbe es in Zukunft noch mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Neben dem Sammeln von Spenden könnten humanitäre Organisationen wie das SRK noch intensiver mit der Privatwirtschaft und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Wenn sich Unternehmen an humanitären Projekten beteiligen könnten, gäbe dies sowohl den Mitarbeitenden als auch den Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, sich für etwas Sinnvolles zu engagieren. Dies gilt nicht nur für Grossunternehmen, sondern auch für KMU. Aktuelle Beispiele zeigen, dass dadurch die Motivation, Loyalität und Zufriedenheit der Menschen gesteigert werden kann.
Je mehr Menschen sich freiwillig für eine gute Sache engagieren, desto stärker wird der Zusammenhalt in der Gesellschaft und desto kraftvoller wird die gemeinsame Hoffnung.
Andreas Krafft, Studienleiter des «Hoffnungsbarometers»
Eine wichtige Erkenntnis aus dem Hoffnungsbarometer ist: Hoffnung ist die Voraussetzung für Handeln. Sie motiviert uns, uns für positive Veränderungen einzusetzen. Kann man Hoffnung lernen? Und wie können wir trotz aller Krisen zuversichtlich bleiben?
Hoffnung ist keine „Kompetenz“, die man einfach erlernen kann wie eine Sprache oder eine technische Fertigkeit. In manchen Situationen sind Menschen fähig zu hoffen, in anderen nicht. Hoffnung ist eine Fähigkeit, die kultiviert und gemeinsam entwickelt werden kann. Sie beginnt mit der Klarheit und dem Bewusstsein über die Bedeutung der eigenen Wünsche. Menschen hoffen vor allem für das, was ihnen wichtig ist. Dann geht es um tief verwurzelte Selbst- und Weltbilder. Auch in Krisensituationen muss der Glaube an das Gute und an neue Zukunftsmöglichkeiten gefördert werden. Der Glaube, dass alles verloren ist, ist ebenso „begründet“ wie der Glaube an positive Veränderungen. Dazu gehört auch das Vertrauen in sich selbst und in Menschen mit einer gemeinsamen Wertebasis. Familie und gute Freunde sind die stärkste Quelle der Hoffnung. Wo es Zusammenhalt und gegenseitige Hilfsbereitschaft gibt, können sich Menschen mutig für neue Lösungen öffnen und sich gemeinsam dafür einsetzen.
Ist es nicht eine Verharmlosung der aktuellen Krisen und globalen Herausforderungen, wenn wir an eine positive Zukunft glauben?
Die Zukunft ist nie vorherbestimmt, sondern immer offen für unterschiedliche Entwicklungen. Hoffnung ist grundsätzlich viel realistischer als Optimismus oder Pessimismus. Während Optimismus davon ausgeht, dass alles gut wird, geht Pessimismus davon aus, dass alles schlecht wird. Die Hoffnung hingegen sieht den Tatsachen ins Auge, ohne sich von ihnen entmutigen zu lassen. Hoffnung erkennt den Ernst der Lage an, kapituliert aber nicht daran. Hoffnung sagt nicht: „Macht euch keine Sorgen, alles wird gut“, sondern: „Wir können es besser machen”, selbst in den schlimmsten Situationen. Die Gegner der Hoffnung sind nicht Angst und Sorge, sondern Verzweiflung und Gleichgültigkeit. Die Geschichte lehrt uns zweierlei: Menschen können auch unter den aussichtslosesten Bedingungen hoffen. Sobald man die Augen vor der Realität verschliesst, wird man gleichgültig und hört auf zu hoffen.
Wir sind täglich einer Flut von negativen Nachrichten ausgesetzt. Wie kann es uns trotzdem gelingen, den Glauben an persönliche Handlungsfähigkeit und gemeinschaftliche Werte zu bewahren?
Es ist nicht zu leugnen, dass es viel Schlechtes und Böses in der Welt gibt. Aber wir sollten uns auch bewusst sein, dass es viel Gutes gibt. Unsere Aufmerksamkeit wird durch ein psychologisches Phänomen beeinflusst, das „Negativitätsbias“ genannt wird. Durch seine Konditionierung konzentriert sich der Mensch automatisch auf die Gefahren und das Negative und nimmt das Gute weniger wahr. Zudem hinterlassen negative Erlebnisse einen stärkeren emotionalen Eindruck. Deshalb muss die Aufmerksamkeit für das Gute geschärft werden. Wenn man sich auf die eigenen Fähigkeiten und Stärken, auf das Gute in anderen Menschen und auf neue Möglichkeiten fokussiert, fühlt man sich gestärkt. Nur wenn man sich gestärkt fühlt, wird man sich auch für etwas Herausforderndes engagieren. In der Regel kann man das aber nicht alleine, man braucht Gleichgesinnte. Hier entstehen Initiativen und Bewegungen, die sich auf gemeinsame Werte stützen. Im gemeinsamen Tun wächst der Glaube an das Gute und das Vertrauen in die Mitmenschen.
km
haben die Freiwilligen des SRK-Fahrdienstes zurückgelegt.
Freiwillige
engagieren sich für das SRK und seine vier Rettungsorganisationen.
Stunden
unentgeltliche Arbeit haben die SRK-Freiwilligen im Jahr 2022 geleistet.