«Unsere humanitäre Arbeit macht einen Unterschied»
Interview
•Die humanitäre Lage in vielen Regionen weltweit verschärft sich. Gleichzeitig werden Mittel für internationale humanitäre Hilfe gekürzt – auch in der Schweiz. Was heisst das für das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) und seine Arbeit? Der Departementsleiter Internationales des SRK, Michael Kramer, erläutert die Situation.
Interview mit Michael Kramer
Michael Kramer
Michael Kramer wurde 1970 geboren und arbeitet seit 2019 beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK). Er ist seit November 2023 Departementsleiter Internationales und Mitglied der Geschäftsleitung SRK. Er hat fast 30 Jahre Erfahrung im humanitären Bereich sowie im Krisenmanagement und arbeitete unter anderem für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Welches Vorurteil stört dich am meisten, wenn von der sogenannten Entwicklungshilfe die Rede ist?
Allein schon der Begriff ist nicht korrekt. Wir arbeiten schon lange mit Menschen und Organisationen im jeweiligen Land zusammen. Entsprechend beschreibt «Entwicklungszusammenarbeit» besser unser internationales Engagement. Man hört Vorurteile, welche die Entwicklungszusammenarbeit als ineffizient und teuer bezeichnen. Zudem würden die dringendsten realen Bedürfnisse vor Ort und die Nachhaltigkeit zu wenig berücksichtigt. In Bezug auf das Rote Kreuz stimmt das so nicht.
Was entgegnest du auf solche Vorwürfe?
Wir arbeiten ausschliesslich mit den nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes oder Roten Halbmonds zusammen. Sie sind in ihren Ländern verankert. Sie wissen daher am besten, was die Menschen benötigen. Diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe setzen wir jetzt noch konsequenter um. Gemeinsam entwickeln wir eine möglichst resiliente, effiziente Organisation. Diese spielt eine wichtige Rolle, um Dienstleistungen zugunsten der Verletzlichsten zu erbringen. Sie ist auf Krisen sowie Katastrophen bestmöglich vorbereitet.
In akuten Krisen und nach Katastrophen leisten wir weltweit Nothilfe, wo sie benötigt wird. Sie erfolgt stets in enger Absprache mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften und der nationalen Gesellschaft im betroffenen Land.
Michael Kramer, Departementsleiter Internationales des SRK
Was bedeuten Budgetkürzungen für die Entwicklungszusammenarbeit?
Weltweit so drastische Kürzungen praktisch von einem Tag auf den nächsten sind verheerend. Ein Beispiel: Im Flüchtlingslager Cox’s Bazar in Bangladesch leben Hunderttausende Menschen auf engstem Raum. Sie haben keine Möglichkeit, selbst Nahrungsmittel anzubauen oder ein regelmässiges Einkommen zu erzielen. Wenn die Rationen gekürzt werden, kann dies zu verheerenden humanitären Notfällen führen.
Was macht das mit dir persönlich?
Es ist schwer, unseren Partnern und schlussendlich den Verletzlichen vor Ort in die Augen zu blicken und sagen zu müssen: Wir möchten gerne mehr tun, aber wir haben die nötigen Mittel nicht. In Mittelamerika mussten Organisationen, die Migrantinnen und Migranten unterstützten, ihre Arbeit praktisch über Nacht beenden. Jetzt ist das Rote Kreuz als etablierte und anerkannte Organisation im jeweiligen Land noch mehr gefordert. Aber wir haben auch keine zusätzlichen Mittel.
Was mich sehr bewegt, sind die Schicksale älterer Menschen weltweit, die in Armut und Einsamkeit leben. Als Rotes Kreuz machen wir im Leben dieser Menschen einen grossen Unterschied. Unfassbar ist auch das Schicksal von Millionen Vertriebenen in Konfliktgebieten.
Michael Kramer, Departementsleiter Internationales des SRK
Warum sollte man die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung unterstützen?
Sie ist in 191 Ländern mit Millionen Freiwilligen präsent. Wir können auf vorhandenen Beziehungen aufbauen, auch in abgelegenen Regionen. Diese Nähe zu lokalen Gemeinschaften durch unsere Schwestergesellschaften ist enorm wichtig und hilfreich. Das persönliche Vertrauen basiert in vielen Ländern stärker auf der persönlichen Ebene als in der Schweiz. Wenn die Beziehung nicht stimmt, ist die fachliche Beratung und die Zusammenarbeit schwierig. Der persönliche Kontakt, die Präsenz vor Ort bleiben wichtig. Die fundamentalen Werte unserer Rotkreuz-Bewegung sind unumstösslich und schaffen Vertrauen. Unsere Arbeit macht einen Unterschied.
Unsere Einsatzländer
Darstellung einer Weltkarte. Auf dieser Karte sind alle Länder, in denen das Schweizerische Rote Kreuz aktiv ist, markiert. Diese Länder sind: Armenien, Äthiopien, Bangladesch, Bhutan, Bolivien, El Salvador, Haiti, Honduras, Kasachstan, Kirgistan, Nepal, Paraguay, Togo.