Nora Kronig: «Das Rotkreuz-Emblem verbindet uns»
Interview
•Der persönliche Kontakt zu Menschen hat für Nora Kronig erste Priorität. Im ersten Amtsjahr besucht die Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) alle 24 SRK-Kantonalverbände und die vier Rettungsorganisationen. Sie trifft Menschen, die sich in einer Notlage befinden und solche, die für das SKR spenden. Im Interview spricht sie über ihre Eindrücke.
Interview mit Nora Kronig
Nora Kronig
Nora Kronig wurde 1980 geboren und ist seit Mai 2024 Direktorin des SRK. Die Walliserin ist in Genf aufgewachsen. Sie studierte in St. Gallen Wirtschaftswissenschaften und hat eine Ausbildung als Diplomatin. Sie war in der Bundesverwaltung im In- und Ausland tätig, zuletzt als Vizedirektorin des BAG.
Nora, dein Amt ist eine vielfältige Herausforderung. Würdest du es wieder antreten?
Ja, auf jeden Fall. Ich empfinde es als ein grosses Privileg, für das Rote Kreuz zu arbeiten und mich jeden Tag als Teil dieser weltweiten Bewegung für die Würde der Menschen einzusetzen. Das Emblem des Roten Kreuzes verbindet uns. Es hat enorme Kraft. In den schlimmsten Situationen für Menschen weltweit, aber auch bei privaten Notlagen setzen wir uns immer dafür ein, die Würde der Menschen zu schützen. Es erfüllt mich mit Stolz und Demut, Teil davon zu sein.
Du hast die Arbeit des SRK schweizweit kennen gelernt. Was ist dein Eindruck?
Ich habe viele, sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt und das enorme Engagement unserer Mitarbeitenden und Freiwilligen gespürt. Sie wissen, was die Menschen brauchen und setzen sich dafür ein. Die Vielfalt unserer Dienstleistungen fasziniert mich. Es geht immer um die Würde der Menschen: Sei es beim Engagement in einer Asylunterkunft, der Entlastung von Familien, die am Rande ihrer Kräfte sind, oder beim Besuchs- und Begleitdienst für ältere Menschen, die auf sich allein gestellt sind. Unsere Rettungsorganisationen stehen im Ernstfall sofort bereit – wie zum Beispiel REDOG nach den Unwettern letzten Sommer.
Wie hast du die Unwetter-Katastrophen des Sommers 2024 in der Schweiz als SRK-Direktorin erlebt?
Die Solidarität der Bevölkerung hat mich beeindruckt und berührt. Wir erhielten viele grosszügige Spenden, die wir einsetzen, um Menschen in Notlagen zu helfen. Auch die Rettungshundeteams von REDOG haben viel geleistet. Die Freiwilligen waren rasch vor Ort, um mit ihren Hunden möglicherweise verschüttete Menschen zu suchen. Ich habe grossen Respekt vor ihrem Engagement. Jahrelang trainieren sie in ihrer Freizeit, um sofort bereit zu stehen, wenn es sie braucht.
Als Direktorin des SRK ist es mir wichtig, unsere konkrete Arbeit zu kennen. Die Angebote für Geflüchtete in der Schweiz genauso wie das Engagement in der Ukraine.
Nora Kronig, Direktorin des SRK
Weshalb hast du von allen Projektländern des SRK die Ukraine besucht?
Der Konflikt in der Ukraine betrifft uns alle. Wir spüren die Konsequenzen auch in der Schweiz. Für das SRK hat das Engagement eine hohe Priorität. Sowohl in der Schweiz als auch in der Ukraine unterstützen wir Menschen, deren Leben durch den Konflikt auf den Kopf gestellt wurde. Die humanitären Bedürfnisse sind enorm. Als Direktorin des SRK ist es mir wichtig, unsere konkrete Arbeit zu kennen. Die Angebote für Geflüchtete in der Schweiz genauso wie das Engagement in der Ukraine. In dem kriegsbetroffenen Land setzen wir unser grösstes Ausland-Programm um. Wir unterstützen Menschen, mit den enormen psychischen Belastungen umzugehen, die der Konflikt mit sich bringt. Es ist mir wichtig, mir selber ein Bild zu machen, um mehr über unsere Arbeit zu erfahren und die Entwicklungen vor Ort zu verstehen. Die Reise war sehr intensiv, auch emotional.
Hattest du Bedenken zur Sicherheit auf dieser Reise?
Persönlich habe ich mich sicher gefühlt, aber traurig. Ich spürte den Druck, der auf den Menschen lastet und sie zermürbt. Drei Mal musste ich wegen Luftalarm einen Schutzraum aufsuchen und teils stundenlang im Keller ausharren. Ich versuchte mir vorzustellen, was es für die Menschen bedeutet, die das seit über drei Jahren täglich erleben. Der Konflikt zerstört die Häuser, die Infrastruktur und die psychologische Sicherheit der Bevölkerung. Ich habe mit vielen Einheimischen gesprochen: mit Rotkreuz-Mitarbeitenden, Freiwilligen, Kindern und älteren Menschen, die vom Roten Kreuz im Alltag unterstützt werden. Bei diesen Begegnungen habe ich gespürt, wie schwer es ist, diese Situation auszuhalten. Jede und jeder muss die Kraft dazu aufbringen. Es ist enorm wichtig, ihnen beizustehen. Ich bin froh, dass wir als Rotes Kreuz – dank unseren treuen Spenderinnen und Spendern – einen wertvollen Beitrag leisten können.
Spenden sind für das Rote Kreuz enorm wichtig. Während weltweit die Not von benachteiligten Menschen aufgrund von Naturkatastrophen und Konflikten weiter zunimmt, werden global die Hilfsgelder massiv gekürzt.
Nora Kronig, Direktorin des SRK
Du hast dich im letzten Jahr auch mit Spenderinnen und Spendern unterhalten. Wie waren diese Treffen für dich?
Es waren enorm wertvolle Begegnungen. Ich fühlte mich sofort mit ihnen verbunden. Auch sie sind Teil des Roten Kreuzes, Teil dieser grossen, besonderen Bewegung. Auch da konnte man die Kraft des Emblems immer spüren. Im Austausch mit den Spendenden wurde mir noch stärker bewusst, wie sehr sie unsere Arbeit mittragen – und mit ihren Beiträgen ermöglichen.
Wie bedeutsam sind Spenden für die humanitäre Arbeit des SRK?
Die Spenden von Privatpersonen und aus der Wirtschaft sind für das Rote Kreuz enorm wichtig. Denn während weltweit die Not von benachteiligten Menschen aufgrund von Naturkatastrophen und Konflikten weiter zunimmt, werden global die Hilfsgelder massiv gekürzt. Das wird humanitäre Katastrophen auf der ganzen Welt verschlimmern und weitere auslösen. Angesichts der dramatischen Weltlage ist es ermutigend zu spüren, wie breit wir aufgestellt sind und dass wir uns alle für das Gleiche engagieren.